Grenzerfahrung in vier Tagen
Stille.
Mit Ausnahme weniger Minuten werde ich lückenlos bezeugen können, dass das Radio seit über 16 Stunden ausgeschaltet war.
01:00 Uhr:
Fast unbeteiligt lausche ich meinen Gedanken, wie ein Spanner in der Nacht.
Und da ist Nacht und natürlich der Regen, der von Zeit zu Zeit etwas Aufmerksamkeit einfordert.
Es regnet seit Prag, mit wechselnder Intensität. Prag, deren Innenstadt durch einen weiteren Fehler meiner Navigationshilfe den Eindruck hinterließ, einen Besuch wert zu sein.
Tschechien, ein Nachbarland auf dessen Autobahnen der bedrohlicht dicht auffahrende neue Skoda Oktavia Kombi lediglich von Zeit zu Zeit die Farbe wechselt.
Ich hatte 4 Grenzen überquert um in Länder zu gelangen deren osteuropäischen Charme ich nur aus einem Land kannte, dass sich mit einem Knall in einen Solidaritätsbeitrag auf der Lohntasche verwandelte.
Ich hatte also keine Ahnung und so blieben in mir Vorstellungen aus Hörensagen, Gedanken wie jene die nur noch blanke Angst übrig lassen – wie jene denen ich abermals begegnen würde.
Ich korrigiere mit diesen nässeuntauglichen Sommerreifen die Spur und denke an Menschen, die mir zusahen, wie ich durch ihr Dorf fuhr auf einem Untersatz deren äußerst präzise Lenkung dringend erforderlich war um ständig auf der Hut, jedem Felsen auzuweichen, jedes Rinnsal zu durchqueren was sich scheinbar über Jahrhunderte in diesen fruchtbaren Lehmboden eingegraben hatte und so wurde aus dem Dorfweg ohne Vorankündigung eine hügelige Landschaft mit tiefen Furchen.
Ein altes Mütterchen steht da wie aus einem Bilderbuch, Pferdewagen, Kinder kommen aus Türen in Lattenzäunen, staunen, fordern einen auf Gas zu geben, ein Wheelie wollen sie alle sehen, was ich aber besser vermeide, denn den Performanceschalter hatte ich am Abend zuvor bei einem Überschlag demoliert und so lief die blaue Pracht unter mir zurzeit im aggressiven Motocross Mapping.
Ich hätte nicht den besten Einstieg gehabt, „heute wird es besser, es soll nicht mehr regnen“, „alles kein Problem“, „ich halte es für die falsche Entscheidung“ – doch ich kann den Kopf nicht frei bekommen. Irgendetwas ist wie eine andauernde Panik in mir und ich bin wohl das, was man als traumatisiert bezeichnet.
Ich breche ab, d.h. das habe ich schon zu Beginn dieser „das ist ein Pro-Uphill, nur ein paar steile Stücke, dazwischen aber immer genug Raum für einen zweiten Anlauf“- Passage. Eine Einleitung die durch den Zusatz „Pro“ für mich mental nicht mehr zu schaffen war.
Ich war wie paralysiert; Pro bei den Romaniacs(!), alles stand Kopf, ich!?. Flinker Anlauf in eine mannshohe Rinne, nasse Felsen und Kies, ein verführerischer Anlieger auf der linken Seite, der auf den falschen Kurs führte, ein-zwei Felsen, das Vorderrad springt förmlich empor, ich mache das Gas zu, denke „nein!“ und lasse die Fuhre zum Stillstand kommen.
Nichts daran war unmöglich, eine andere Linie und es wäre nur noch einer von vielen Bergauffahrten, die ich schon gefahren war ohne ein „Pro“ im Hirn gehabt zu haben.
Es war auch mehr so ein Gedanke an die Dinge die noch folgen würden, es war ein Gedanke an die völlige Erschöpfung am Vorabend.
Budapest zwei Tage zuvor;
Paranoia laut Wikipedia: „Die Betroffenen leiden an einer verzerrten Wahrnehmung ihrer Umgebung in Richtung auf eine feindselige (im Extrem bösartig verfolgende) Haltung ihrer Person gegenüber.“
Eine Unterführung in Richtung Einkaufspassage, Richtung Laszlo Vass, es ist ein unschönes Gefühl an den Musikern vorbeizugehen, deren lauter werdenden Worte ich nicht verstand. Es sind die Dinge die ich bei mir habe, auf die ich für einen reibungslosen Verlauf der Reise angwiesen sein werde – es sollte mich nach Möglichkeit hier und jetzt keiner beklauen!
Das Hotel ist äußerst gewitzt gestaltet, als hätte man einzelne Kontainer gestapelt und verputzt, mit Fenster und deutschem TV. Ich buche ein Roamingpaket und checke mit dem Androiden ob das Internet keiner Entführung zum Opfer fiel. Schlafen kann ich sogar mit dem Gedanken an einen räuberischen Überfall durch fiese dunkle Osteuropäer.
04:30 Uhr
Aufbruch am nächten Tag, ich komme gut durch…Ungarn ist unglaublich flach und sie haben die Autobahn, trotz gegenteiliger Behauptung meines Garmin, schon bis weit hinter Szeged ausgebaut. Hier macht sich ein Teil meiner Vorbereitung in Form einer zweiten Karte nützlich. Den Verlauf des neuen Teilstückes habe ich aufgezeichnet und kann es somit der allgemeinen Kartografie zur Verfügung stellen.
Eine erste, echte, altbekannte, gute, handgefertigte Grenzkontrolle erwartet mich am Tor zu Rumänien aber ich darf nichts auspacken.
Über 10 Kilometer an LKW’s warten auf der gegenüberliegenden Seite auf ihre Abfertigung. Es wird sich herausstellen, dass wohl der Pfingstmontag ursächlich für die besondere Länge dieser Schlange war.
Rumänien ist ein Land der Gegensätze.
Eine Handy Datenflat (21MBit im Download), Polymer-Geldscheine, Schienen die unter dem Gewicht der LKWs nachgeben…
Wir fahren mit dem Motorrad zu den Tracks der Romaniacs, an Bauern mit Fahrädern, die als Transportmittel für Holz dienen vorbei, kommen wir im Dorf an. Der Bus mit den Markierungsbändern und Werkzeugen parkt und wir rüsten uns aus.
20km entfernt von der quirligen Kulturhauptstadt 2007 leben die Menschen in einem anderen Jahrhundert….bis auf diesen Laden….“ja, dort hinein“, an leeren Pfandgut vorbei betrete ich einen gut sortierten kleinen Laden und überlege mir ob der großen Auswahl welchen hippen Energy Drink ich mir denn kaufen soll….da: „Hell“ aus Ungarn, die mit der coolen Werbung aus der Drifter-Scene, draussen fährt ein Pferdewagen durch den matschigen Boden.